Texte


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In den folgenden Texten sollen neben dem Künstler Stimmen zu Wort kommen , die den Menschen Herrfurth persönlich kannten oder sich mit seinem Werk befasst haben. Dies sind ehemalige Freunde, Studenten oder Kunstexperten. Ziel ist es, dadurch in verschiedene Facetten seiner Biographie, seiner Person, seines Arbeitens als Professor an der Universität und seines Schaffens als Künstler einen Einblick zu ermöglichen.



Ausschnitt eines Tagebucheintrages des  Künstlers Reiner Strub über die Wirkung von Herrfurths Collagen anno 1969. Strub und Herrfurth lernten sich im gemeinsamen Kunststudium in Berlin kennen, teilten die Liebe zum Reisen und zu Griechenland und waren in jahrzehntelanger Freundschaft miteinander verbunden:


,,... Nun zunächst aber die Berlinwoche, die mich gründlich durch- und aufgerüttelt hat. Ich bekam zum ersten Mal seit jener Jasper-Johns-Ausstellung in Bern Originale der Pop-usw.-Entwicklung zu sehen. Köstlich, wie das ganze Fußvolk auf einmal eingeschwenkt hat und mitschwimmt. Fast nirgends ist etwas von überzeugender Qualität zu sehen. Eine aufwändige Ausstellung von Engländern hat auch nur sehr Weniges gehabt, wovor ich stehenblieb. Besonders kalt lässt mich Mini-art."


Das alles  wäre wohl ohne Konsequenzen, wären nicht, ja wären nicht die neuen Bilder von Karl-Heinz gewesen. Er ist zu einer gebundeneren Malweise übergegangen und bei der Beschäftigung mit Collagen – eher Montagen – aus farbfotografischer Zeitschriftenreklame hat er eine beunruhigende Gegenständlichkeit entdeckt, die er jetzt auf 100 x 200 (cm) großen Leinwänden malt: bandagierte Figurenteile, Aktiges im Auto in wiedersinnigen Stellungen. Nie Gesichter, Hände oder Füße. Aber die Mache ist es natürlich, die staunen lässt."


Reiner Strub, 1969


Karl-Heinz Herrfurth beim Malen in Gerolimenas anno 2001

Die Künstlerin Gertrud Sentke 1975 über Herrfurths Bild ,,Der Geber", das als Titelbild des Kunstkalenders der Arbeiterwohlfahrt 1975 ausgewählt wurde:


,,... Das Thema von Karl-Heinz Herrfurth ist vor allen seit einigen Jahren der ,,Mensch" in einer ihm unangemessenen Umwelt. Durch eine Technisierung im Herstellungsbetrieb wird der Arbeitendde in sich selbst verfremdet und zum Handlanger degradiert oder der Angestellte in eintöniger "Vergabe-Ausgabe" als kontollierender "Geber" (wie im umseitigen Bild) abgesondert eingestuft. Unbequeme und innerlich bedrängende Situationen des Großstadt- und Industriemenschen , des Menschen in der Zivilisation schlechthin entstehen in unserer Zeit auf der ganzen Welt.  Verbraucher und Verfertiger, als Hersteller selbst Mitverbraucher der technisierten Güter, erscheinen menschlich nicht ausgelastet, sondern selbst ,,mechanisiert" im eigenen Arbeitsprozess. Dies ist die Problematik, die K.-H. Herrfurth bildgestaltend anpackt. Durch eine kühl versachlichte Gegenständlichkeit und Maltechnik verdeutlicht der Künstler u.a. Raum- und Lagersituation, den Maschinenglanz in den Aufreihungen oder im Einzelapparat in ihrer verführerisch kalten Ästhetik. Er lässt den Menschen in diesem vergitterten Getriebe überdimensional als das lebendige, wichtige Wirklichkeits-Objekt erscheinen und durch optisch übersteigerte Arm- und Handgeste das Mechanische seines täglichen Pensums erkennbar werden. Die Diskrepanz zwischen Mensch und Betrieb, Mensch und Mechanisierung wird in diesen Arbeiten von Karl-Heinz Herrfurth offensichtlich."  


Gertrud Sentke, 1975

Karl-Heinz Herrfurth beim Malen in Gerolimenas anno 2001

Karl-Heinz Herrfurth, Aus dem Vortrag an der HdK 1994: „In Bildern denken“ Noch ein Spiel!


,,In der Mitteilung der Pressestelle der Hochschule der Künste zur Vortragsreihe „In Bildern denken“ steht der Satz: Es ist keineswegs selbstverständlich, daß bildende Künstler/innen – auch wenn sie als Lehrende Kunst vermitteln – über ihre eigene Arbeit sprechen. Dies gilt natürlich auch für mich, und es wäre für mich eine bedrückende Vorstellung, hier über einmalig festgelegte und unverrückbare Standpunkte des Künstlers sprechen zu müssen, an denen seine Kunst gemessen werden kann und die die Künstlerpersönlichkeit mit ihren Eigenarten unver-wechselbar beschreiben. Das entspräche nicht meiner Art. Ich halte es lieber mit einem Motto von O’Neill: „Wer sich festlegt, hört auf, sich weiterzuentwickeln.“

Ersatzweise kann man sich auf die Vorbilder und Beispielgeber, die Ahnen, Freunde und Bekannte aus der Kunstgeschichte berufen, sie mit ihren Werken zitieren und als Gutachter über das eigene Werk aufrufen. Ich habe diese Möglichkeit erwogen, bin aber nicht weit gekommen. Ich dachte dabei zum Beispiel an die berühmte Figur des Leonardo da Vinci nach Vitruv, der Mensch im Erdkreis, der Mensch als Maß aller Dinge. Ist dies ein anerkannter klassischer Standpunkt, so ist der meine wahrscheinlich nur gültig am 25. August 1993 als Ausschnitt aus einem Skizzenblatt vom Nachmittag dieses Tages. Diesen Weg der Vergleiche möchte ich nicht beschreiten, später aber doch meine Zitate anführen. Charakteristisch und nicht zufällig für jede Künstlerinn und jeden Künstler ist das Bildmedium, mit dem sie oder er sich wenigstens zeitweise treffend auszudrücken vermag, und das Vorhaben, das Arbeitsfeld, in dem sie oder er sich zu bewegen lernt. Ob solche Arbeitsfelder zeitgebunden sind, dem Zeitgeschmack, Moden oder Trends unterliegen, wie solche Arbeitsfelder, in denen dann die oben erwähnten Standpunkte stecken mögen, gefunden werden, entstehen, sich entwickeln, ausweiten, aber auch austrocknen, aufgegeben werden, um angrenzende Parzellen zu erschließen, hat immer meine Neugierde erregt. Es ist dies fast schon ein kunstwissenschaftliches Thema, nicht ohne die Kenntnis der Biographien von Künstlerinnen und Künstlern zu belegen, in denen sich oft zeigt, wie aus ersten wagen Ideen und Zufällen, Ahnungen und experimentellen Versuchen künstlerische Konzeptionen entstehen können.

Ich erzähle Ihnen eine sehr persönliche Geschichte, berichte über eines meiner Arbeitsfelder, über die Zeichnung, über das Zeichen und spreche über meine alltägliche Arbeit, das „Hand-Werk“ (es ist auch Kopf-, Augen-, Herz- und Bauch-Werk) in einer Zeit, in der sich das Handwerkliche schon lange in die Kunst hineinbegeben hat. Jahrelang habe ich fast ausschließlich gemalt, Zeichnungen gab es dazu als Skizzen oder Entwürfe, Notizen und Bildanalysen. Themen waren fast immer Figuren, oder ich sage besser: Figurationen und bestimmte Figuration als ein visuell deutlicher, farbig und/ oder linear gegliederter (strukturierter) Gestaltzusammenhang in der Bildfläche, also im Bildgrund. Figurationen können demnach nicht nur aus dem Erlebnis und der Wahrnehmung menschlicher oder tierischer Figur abgeleitet werden, sondern auch aus der Betrachtung anderer Weltaspekte unter Einschluß traditioneller Motive der Malerei, der Landschaft, dem Stilleben, der Architektur, der technischen Umwelt, hervorgehen, und sie müssen sich nicht nur auf die Außenwelt beziehen.

Bei Studienaufenthalten im tiefen Süden Griechenlands konnte ich Malerei nur im verschatteten Atelier und nur während der weniger hellen Tageszeiten, morgens und spätnachmittags, betreiben. Das überhelle, flirrende, alles überstrahlende Sonnenlicht im Freien läßt dort farbiges Arbeiten und die treffende Farbauswahl kaum zu, wohl aber das Zeichnen, das mir auch hier in Deutschland immer wichtiger wurde, weil ich mir Malerei nur auf der Grundlage einer Bildidee, der Form und ihrer Erfindung vorstellen wollte. Bei einem dieser sommerlichen Arbeitsaufenthalte ging leider mein Vorrat an Zeichen- und Malpapier sehr schnell zu Ende. Im Dorfladen gab es nichts Brauchbares zu finden, eine Reise in die nächste Stadt zum Einkaufen blieb erfolglos. In meiner Not griff ich zu alten Briefen, Schulheften und Notizbüchern, die sich in einer Truhe im Haus fanden, beschriftete Seiten in sehr fragilem Zustand. Bei den ersten Versuchen mit diesen Materialien wurden die Schriftnotizen von Übermalungen abgedeckt. Dabei bin ich wohl dem Problem, diese Materialien mit den Eintragungen als historische Informationsquelle und ihre graphisch-malerischen Strukturen als Gestaltungsvorgabe zu vestehen, noch ausgewichen. Ihr Wert war in den folgenden Arbeiten zu begreifen.[…]

In meinen phantasievollen Assoziationen, die einen großen Einfluss auf meine Zeichnerei ausübten, erinnerte ich mich an eine Beschreibung der Athener Agora, die ich irgendwann nebenbei gelesen hatte und fand die Textstelle wieder in dem Buch ,,Die Griechen" von Robert Payne, 1964. Dazu ist zu bemerken, dass die angelsächsischen Archäologen und Historiographen sich sehr um die Aufklärung der Lebensumstände des Volkes, Gewerbe und Handel der einfachen Leute, Sitten und Gebräuche bemühen. Payne schreibt über die Agora in Athen nach den Perserkriegen, in einem Zustand des Wiederaufbaus der Stadt nach fast vollständiger Zerstörung:,,Alle Berichte stimmen darin überein, dass es einen Platz gab, der an Lärm alles andere Übertraf. Es war die agora, wo die Athener täglich bis Mittag ihren Markt abhielten. [...] Die Fischhändlerund die Myrtenverkäufer noch übertönend aber war die schreckliche Stimme des Herolds,  der die Räumung des Marktplatzes anzuordnen pflegte, so dass jedermann der Volksversammlung auf dem gegenüberliegenden Hügel, der Pnyx, beiwohnen konnte. Hierauf wurde das lange, in frische rote Farbe getauchte Seil über den Marktplatz hin- und hergefegt. Jeder, der nun in den Straßen Athens mit einem roten Farbfleck angetroffen wurde, musste wegen Fernbleibens von der Volksversammlung eine Strafe auf sich nehmen (Payne 271).

Ein faszinierender Griff in die Fülle des Lebens, voller Bilder und Anregungen. Die roten Farbflecke waren wie ein Echo auf meine vorangegangenen Bemühungen in der Malerei, die Farbe von ihrer Funktion der Körperfarbe, der Dingfarbe und der Gegenstandsbeschreibung abzulösen, sie als Farbmal, Farbzeichen, Kennzeichen, als Schmerzfarbe und Freudenfarbe neu zu finden, nicht als Illumination oder Beleuchtungslicht, sondern als punktuell oder flächig ausstrahlendes Sendelicht zu begreifen.

Zurück zu meinen Zeichengründen: Den Kassenbüchern, Briefen, Briefumschlägen, Schulheften folgten Inventarbücher, Poesiealben, Arbeitsbücher von Handwerkern und ausgefüllte Formulare, die ich hier bei Trödlern fand. Weil sie teilweise im Zustand des Zerfalls waren, mußte ich die Seiten auf Papier aufziehen und konnte sie so auch in Serien und Reihen setzen. Ihre visuellen und materiellen Eigenschaften waren: verschiedene Formen und Formate, unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheiten, Linierungen horizontal und vertikal, Rasterungen, Beschriftungen als Buchstaben, Ziffern, Überschriften, Zeilen und Signaturen, unterschiedliche Anordnungen dieser graphischen Bestände, Verdichtungen durch Überschreibungen und Anhäufungen, Ausgestrichenes und Getilgtes, Auslassungen und Fehlstellen, Aufgeklebtes und Repariertes, Steuermarken und auf den Umschlägen Siegelwachs, Briefmarken und Stempel, Eselsohren, Knickungen, Risse, Abrisse, Abschürfungen durch intensiven Gebrauch, Wasserflecken, Rost- und Stockflecken, Löcher und andere Beschädigungen durch Wurm- und Insektenfraß, Durchfärbungen, Vergilbung.

In diese teils normativen (Linierung, Schrift, Ziffern), teils zufälligen Bestände (Flecke, Risse, Färbungen), von ihnen angeregt und mit ihnen spielend meine Figurationen einzutragen, hineinzusehen und hineinzufabulieren, den angegebenen Geschichten meine eigenen aufzudrücken, das Vorgefundene mitwirken zu lassen als Fülle des Bildgrundes oder es als „Hintergrundrauschen“ in kleinen Mengen sich ausdrücken zu lassen, machte den Reiz dieser Materialien und auch eine Verpflichtung ihnen gegenüber aus. Der Ausdruck der Blätter liegt deshalb immer zwischen den Polen Fülle, Ausgefülltsein, Besetztsein und Knappheit, Kürze, Fragment. Es gibt viele Einzelblätter. Jedoch führt die dichte Folge der Arbeiten zu Varianten und Variationen, Gruppen und Serien, die Inventionen ergänzen sich nacheinander und nebeneinander und umkreisen ihre Bildthemata.

In einer längeren Arbeitsphase des Zeichnens breiten sich im Atelier die Zeichnungen auf Fußböden, Tisch und Stühlen aus, überziehen die Wände, ergänzen sich zu Serien ähnlicher Bildvorstellungen und ähnlicher Werkverfahren. Eine Zeichnung lockt die nächste hervor, und das Bewußtsein des Zeichners in einer solchen Bilderhäufung schärft sich, denn er zeichnet doch immer sich selbst, seine Ahnungen, seine Wünsche und Befindlichkeiten mit, vergleicht, prüft und läßt sich überraschen.

Der innere Monolog führt zu einer zwingenden Einsicht, daß die gefundenen Zeichen zu dem stetig fließenden Strom von Zeichnungen, Ritzungen, Tätowierungen, Kerbungen usw. gehören, Milliarden wahrscheinlich, viele verloren, die seit Beginn der Menschheitsgeschichte gemacht worden sind, ihnen ähnlich, sie ergänzend, mit ihnen verwandt oder auch den eigenen Platz einnehmend, polemisch und karikierend. Die Einsamkeit des Zeichners ist beendet.

Am Ufer dieses Stromes sitzen nicht nur Zeitgenossen, sondern auch Gleichgesinnte aus anderen Epochen und Regionen: Dort drüben der Mönch aus einem klösterlichen Scriptorium, mit seinen Grotesken am Rande einer Codexseite beschäftigt, gegenüber die Sippe eines Stammes, die mit eingerührtem Kalk die weißen Bilder ihrer Ahnengeister an der überhängenden Felsklippe auffrischt, hier die Frau, die mit einem Holzstück ihrem handgeformten Tontopf einfache Zeichnungen einprägt, daneben der Schildermaler, der aus Schrift und Bild das Ladenschild einer Putzmacherin komponiert, in der Nähe das Kind, spielerisch versunken in das Entstehen eines Kopffüßlers. Halten Sie meine Aufzählungen bitte nicht für übertrieben. Sie skizzieren mein Bewußtsein von langandauernden Zügen in der Kunst- und Kulturgeschichte, mein Traditionsbewußtsein. Wer den Begriff „Tradition“ etwa mit „abgestanden, verbraucht, reaktionär, konservativ“ besetzt, möchte vergessen, daß alle künstlerischen Erfindungen weit zurückliegende Wurzeln haben, Tradition also als Positivum zu sehen ist. T. S. Elliot bemerkt: „Nichts, was nicht in der Grundlage traditionell ist, kann wirklich neu sein.“ Oder der französische Philosoph Jean Jaurés: „Tradition heißt nicht, Asche zu verwahren, sondern eine Flamme am Brennen zu halten.“ Eine andere bedeutende Quelle zu diesem Thema „Künste und Traditionen“ ist das Werk Walter Benjamins, dessen Lektüre ich empfehle. 

Ich habe über meine Faszination gesprochen und erweitere meine Betrachtungen. Eine Überlieferung aus der Antike berichtet uns vom Ursprung der Zeichnung Folgendes: Eine junge Frau muss von ihrem Geliebten, der in den Krieg zieht, schmerzvoll Abschied nehmen. Um seine Gestalt nicht zu vergessen, zeichnet sie mit einem Stück Kohle den Umriss seines Schattens auf der Mauer, an der beide stehen, nach, bevor er geht. Nun, eine große Ähnlichkeit mit dem Geliebten, kann der von ihr bewahrte Umriss eines schräg auf eine Mauer fallenden Schattens nicht gehabt haben und doch muss er genügt haben, um ihrer Sehnsucht und Erinnerung einen Halt zu geben. Folge ich nachdenklich dieser Begebenheit, so fallen mir drei Merkmale auf:

1. Das Zeichnen birgt tiefste Seelen- und Leibesempfindungen.

2. Es ist spontan und bedarf nur der geringsten elementaren Mittel.

3. Es bildet nicht ab, sondern sucht Bilder. Zweifellos ist dieser Umriss auf der Mauer ein Bild.

Nehme ich einmal alle Zeichnungen aus, die mit der Darstellung der objektiven Welt befasst sind, die Zeichnungen der Entwerfer, Architekten und Ingenieure, die Pläne, Maßzeichnungen, Konstruktionszeichnungen, Diagramme, Messblätter, dazu die Werkzeichnungen und Skizzen zur Klärung der Werkvorhaben bildender Künstler, die nicht eigentlich bildhaften Charakter haben, so finde ich meine drei Merkmale in den Bildern der Zeichnenden aus allen Zeiten wieder. Ich finde sie auch in den Äußerungen der Künstler und Kenner wieder, die ich treffender nicht zu formulieren vermag.

Henri Matisse: „Ich habe die Zeichnung nie als eine besondere Geschicklichkeitsübung betrachtet, sondern stets als ein Mittel, um mehr Einfachheit zu geben. Ausdruck vom Ursprung her, der ohne Schwere unmittelbar in den Geist des Betrachters eingeht.“ 

Henri Matisse: ,,In der Zeichung hat das Wesen der Linie allein auszukommen mit dem großen Komplex des Individuellen und Allgemeinen, Zufälligen und Momentanen, Stofflichen, Farblichen und Räumlichen. Sie hat alle Wesenseinheiten, Formbestandteile und Formkennzeichen zu vermitteln. Sie kann die Körper nur umreißen und mit Innenzeichnung versehen. Das Auslasssen wird zur Forderung. In der leicht fließenden Auswahl des Wesentlichen, das nicht allein den Schein der Wirklichkeit, sondern auch des Künstlers Erleben enthält, liegt die freie Abwicklung aller Genialität und der Charakter jeder künstlerischen Zeichnung."

Johann Wolfgang von Goethe (vor fast 200 Jahren) auf seiner italienischen Reise: ..Was ich nicht gezeichnet habe, habe ich nicht gesehen!" ,,Nicht gesehen" bedeutet bei Goethe auch ,,nicht erlebt, nicht empfunden, nicht angeeignet." Ich fand viele ähnliche Aussagen und mein Notizbuch füllt sich. Dazu gehören auch Bemerkungen über den Primat der Zeichnung über andere Bildmedien.

Giacometti: „Wir müssen uns ausschließlich um die Zeichnung bemühen. Wenn man die Zeichnung auch nur wenig beherrscht, wird alles andere möglich.“ 

Enzo Cucchi: „Entweder ist sie sofort da oder sie hat keine Augen, dann wirft man sie weg, oder zerreißt sie. Ein Bild kann man immer wieder überarbeiten, die Materialien helfen einem dabei. Eine Zeichnung dagegen ist schwierig, sie ist wie ein lebendes Tier unter den Händen des Malers.“

Pierre Bonnard: ,, Zeichnung ist Empfindung, Farbe ist Vernunft,"

Max Friedländer: „Zeichnen ist in höherem Grade als Malen ein Wählen, Entscheiden, Auslassen, ein geistiges Eingreifen, deshalb als unmittelbare, persönliche, intime Äußerung der Individualität unschätzbar.“

Eine Kurzfassung meiner Einsichten lautet so (sehr viel trockener als die von mir zitierten): Das Zeichnen ist ein spontaner Werkvorgang mit den abstraktesten der Bindemittel, der Linie, der Kritzelspur, dem graphischen Fleck, sparsam, aber nicht ärmlich. Es kann und darf fragmentarisch sein, weil das Zeichnen die Kunst der Andeutung und der Abkürzung ist. Thema der Zeichnung ist auch immer das Zeichnen selbst, das Mitzeichnen des Zeichenvorganges in seinen Zügen als Bewegungs- , Denk- und Empfindungsvorgang.

Das Physiogramm (Bewegung und Zupacken der Linien, Umschreiben und Festlegen) und das Psychogramm (Imagination, Bildvorstellung und Bildsuche) finden sich in einer Konstellation wieder. Das verwendete Zeichenmaterial ist nicht das Wichtigste, obwohl es Eigenarten hinzutut. So können wir eine Rohrfederzeichnung von Rembrandt direkt neben eine Bleistiftzeichnung von Picasso oder eine Kohlezeichnung von Matisse legen und erkennen sofort, haben wir die offenen Augen dafür, den hohen Rang der Autoren trotz unterschiedlicher Temperamente und unterschiedlichen Gebrauchs der Mittel, und wir erkennen die Intensität und Klarheit ihrer Empfindungen und Erfindungen. Nicht das Was des Bildgegenstandes, sondern das Wie der Bildsprache ergreift uns." 


Karl-Heinz Herrfurth, Vortrag vom 03.02.1994




 Stefanie Heckmann zu Herrfurths Arbeiten auf alten Papiergründen (in: Stefanie Heckmann, Katalog zur Ausstellung "Gedächtnis der Vorstellung", 21. Juni bis 13. Juli 1996 in der Hochschule der Künste, Berlin, 1996):


,,Obwohl Karl-Heinz Herrfurth sich ausschließlich mit Malen und Zeichnen befaßt, kann als vermittelndes und seine Arbeit maßgeblich prägendes Element das Object trouvé gelten. Seine umfangreiche Sammlung gefundener Gegenstände wie alte Werkzeuge, Lampen, undefinerbare Holzgeräte, die er zum Teil dicht zusammengedrängt an eisernen Haken an einer Schiene aufgehängt hat, haben zwar keinen ausdrücklichen Werkstatus, können jedoch als Ideenreservoir betrachtet werden. Beziehungen stellen sich her zwischen einzelnen Geräten, die ihrer eigentlichen Funktion enthoben, rein anhnad ihrere äußeren Merkmale, ihrer Form wie ihrer Materialität, Gruppen bilden. Diese entfalten, wie ein neuer Organismus, ein Eigenleben, dessen Reflex - sei es motivisch, sei es als Inspiration - sich in den Zeichnungen wiederfindet. Auch die Zeichnungen selbst entstehen immer auf gefundenem Papier, das Spuren des Alterns und des Gebrauchs trägt. Diese ausgefransten, zum Teil beschriebenen, vergilbten Blätter geben den Grundton vor, der behutsam aufgegriffen wird. Formen entstehen, die Anklänge an Gegenständliches, an Köpfe, Figuren zeigen, die aus Linien, Schwüngen und Farbflecken gebildet sind. Die eigentliche Spannung liegt hier vor allem in der Vermittlung der unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen. Die alten Papiere, die als Träger der Zeichnungen fungieren, erzählen, den gefundenen Gegegnständen vergleichbar, ihre eigenen Geschichten, sind selbst bereits Geschichte geworden. Als Wirklichkeitsfragmente dokumentieren sie eine längst vergangene Zeit, über die sich die Wirklichkeit der Zeichnung lagert. Linien und Farben finden sich auf leichtfüßige und spielerische Weise auf einer dritten Ebene in der freien Nachformung der Wirklichkeit mit Anklängen an Gegenstände oder die menschliche Figur zusammen. Wie bei den Fundstücken wird den Fragmenten nicht ,,die harte Hand des Meisters" (Picasso) aufgezwungen, sondern sie scheinen durch, behaupten sich, korrespondieren mit der Zeichnung, die sie überschreibt. Der Satz von Merleau-Ponty: ,,Nur der Maler hat das Recht, seinen Blick auf alle Dinge zu werfen, ohne zu ihrer Beurteilung verpflichtet zu sein", könnte als Credo auch über  den Arbeiten Herrfurths stehen."


Stefanie Heckmann, 1996

Karl-Heinz Herrfurth beim Malen in Gerolimenas anno 2001

Der Kunsthistoriker Berd Ziegenrücker beschreibt seinen Besuch im Atelier von Herrfurth anno 2009:


,,Das Atelier von Karl-Heinz Herrfurth befindet sich in einem Gewerbehof unweit des Ernst-Reuter-Platzes in Berlin. Dieter Appelt arbeitet in direkter Nachbarschaft.

Das Atelier ist sehr akkurat und neben den vielen Bildern fallen die Afrikanischen Plastiken ins Auge. 

Prof. Herrfurth, ist noch „Maler“ im klassischen Sinne. Er lehrte dieses Fach an der Universität der Künste in Berlin. 

Ich war durch eine beeindruckende Arbeit in der Villa Oppenheim auf den Künstler aufmerksam geworden und wollte mehr darüber wissen.

Diese Arbeit bestand aus ca. 50 bis 60 übermalten Texten und Zahlenreihen aus einem alten Notiz-Heft. Die Klammern hatten zum Teil Rostspuren hinterlassen. Mit Bleistift und Federhalter waren dort die Texte und Zahlen geschrieben. Die Seiten waren stockfleckig und vergilbt. Die Lücken waren mit Figuren, kleinen Bildern und Zeichen in Bleistift- und Aquarell-Technik ausgefüllt. Eine ganze Wand war in der Ausstellung mit diesen einzeln gerahmten Arbeiten bedeckt. Ich dachte mehr an Art Brut und Wölffli als an einen in Berlin lebenden Maler.

Beim Besuch im Atelier erzählte mir Karl-Heinz Herrfurth die Geschichte. Aufzeichnungshefte aus Griechenland Seine verstorbene Frau kam aus Griechenland. Ihr Urgroßvater war als junger Mann nach Alexandria gegangen und sehr reich geworden. Seinen Lebensabend verbrachte er in seinem Heimatdorf und führte dort einen kleinen Laden. Die Aufzeichnungshefte dieses Großvaters hatten sich erhalten und dienten Herrfurth als Vorlage und Inspiration für seine eigenwilligen Bilderfindungen. So verbinden sich Geschichte und Gegenwart, Geschichten und Konkretion, Realität und Phantasie zu einem unerwarteten neuen Ganzen.

Das große und sehr eigenständige Oeuvre von Karl-Heinz Herrfurth reicht von Popart der 60 ziger Jahre über eine sehr eigenständige surrealistische Phase bis hin zu neuen Collagen.

Es war ein sehr kurzweiliger Nachmittag."


Bernd Ziegenrücker in seinem Artikel für artelabonline.com vom 13.01.2009 (abgerufen am 19.05.2023, 8.07 Uhr unter: www.artelabonline.com/articoli/view_article.php?id=3378)

Die Freundin und Kunstpädagogin Ursula Sasse spricht in ihrer Gedenkrede für Karl-Heinz Herrfurth:


,,Gerne möchte ich von meinen Erinnerungen an Karl-Heinz sprechen:

1958 lernte ich ihn an der HfBK in Berlin kennen. Wir studierten beide [...] Kunsterziehung, er war mir jedoch schon vier Semester voraus. Seminare und Vorlesungen besuchten wir gemeinsam, er fiel mir dort durch seine klugen, sehr ernsthaften Fragen auf. Immer ging er den Dingen auf den Grund, und das galt auch für seine künstlerische Arbeit. Er sagte zu mir: „Gut grundiert ist halb gemalt, merk dir das!“ [...] auf den großen Leinwänden, deren Format nie größer war als das, was er mit seiner Körpergröße problemlos erreichen konnte, dauerte das „Malen“ lange und war intensiv. Dabei konnte er Gestaltungsgedanken hineinlesen, hineinphantasieren: „Das Abenteuer des Malens beginnt beim Grundieren, das Bildhafte steht vom Grund auf und bleibt in ihm beschlossen. Du musst den Fleck in den Grund einbetten, nicht auf einer glatten Fläche obenauf liegen lassen.“ Den Dingen auf den Grund zu gehen, galt nicht nur für seine Kunst, sondern auch für seine Lebenssicht.

Viele Jahre später – ich war schon lange in Hannover als Kunsterzieherin am Gymnasium tätig, gab er mir einen guten Rat: Er schlug mir vor, gute Kunstdrucke verschiedener Maler, verschiedener Epochen nebeneinander aufzuhängen, um so die Schüler auf die Vielfältigkeit unserer betörenden Bilderwelt aufmerksam zu machen und zur Diskussion anzuregen und dabei selbst „bei dem Aufeinandertreffen der verschiedenen bildnerischen Meinungen alarmiert und stolz auf unseren Reichtum zu sein.“ (Zitat K.-H.) 

Ich glaube, so hat er auch die Arbeit mit seinen Studenten verstanden: Aufmerksam machen, achtsam sein. Ich konnte einige Male dabei sein, wenn er mit seinen Studenten arbeitete und war beeindruckt, wie viel Freiheit er seinen Studenten geben konnte. Die Anforderungen die Karl-Heinz an seine Arbeit stellte, galten gleichsam metaphorisch auch für seine Einstellung zu Fragen des Lebens. [...]

In einem Brief an mich vom 13.1.98 [...] zitiert er den Spruch eines Sufi-Meisters: „Der, der nicht weiß, und nicht weiß, dass er nicht weiß, ist ein Narr – meide ihn. Der, der nicht weiß und weiß, dass er nicht weiß, ist ein Kind – lehre ihn. Der, der weiß und nicht weiß, dass er weiß, schläft – erwecke ihn. Doch der, der weiß und weiß, dass er weiß, ist ein Weiser – folge ihm.“ ... eine schöne Lebensregel, die auch für Dinge, Erlebnisse und Träume gelten mag, und vielleicht für junge Leute bemerkenswert ist. Doch was machen wir Alten? Karl-Heinz schreibt weiter: „Neulich fand ich bei Hegel folgende Stelle: ,Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert.‘“ 

Diese Kraft wünsche ich mir!Ich bin dir dankbar, lieber Karl-Heinz."


Ursula Sasse, 03.12.2015

Die Künstlerin Anna Holldorf schreibt in ihrem Vorwort aus dem Katalog "Karl-Heinz Herrfurth - Die Einsamkeit des Zeichners ist beendet": 


,,Der Titel dieses Katalogs spielt auf zweierlei Dinge an: Zum einen entstammt er dem Vortrag Karl-Heinz Herrfurths aus der Vortragsreihe „In Bildern denken“, veranstaltet 1993/94 an der Hochschule der Künste Berlin. Zum anderen aber spielt er auf das zurückgezogene Leben Herrfurths als Künstler an. Wie Sie selbst auf den hier folgenden Seiten nachlesen können, bezieht Karl-Heinz Herrfurth sich mit diesem Zitat auf das Eingebundensein in die Kunst- und Kulturgeschichte, es skizziert sein Traditionsbewusstsein. Weiter heißt es da: Am Ufer dieses Stromes sitzen nicht nur Zeitgenossen, sondern auch Gleichgesinnte aus anderen Epochen und Regionen. Durch dieses Traditionsbewusstsein und vielleicht ja auch Bekenntnis zu einer lebendigen Geschichte der Kunst muss der Berliner Künstler sich gänzlich in einer Tradition aufgehoben und eingebettet gefühlt haben, die es ihm ermöglichte, sich während seines langjährigen künstlerischen Schaffens ganz und gar aus dem launischen und wechselhaften Kunstbetrieb der Gegenwart herauszuhalten.

Karl-Heinz Herrfurth, *27.9.1934, †12.11.2015, lehrte von 1974 - 2002 als Professor an der Hochschule der Künste Berlin, und diese finanzielle Unabhängigkeit erlaubte ihm die Freiheit des künstlerischen Schaffens. Dieser Katalog, der nur eine kleine Auswahl seiner Meisterzeichnungen, wie ich sie nennen möchte, wiedergibt, ist ein erster Schritt, K. H.-Herrfurth die Ehre zu erweisen, die ihm als Künstler gebührt. Meisterzeichnungen, weil es Kleinode sind, die zeitenthoben daherkommen, wo auch immer sie herkommen. Sie sind der künstlerischen Seele des Malers wie reinstes Quellwasser entsprungen. Aus dem Fundus Herrfurths handgeschriebener Zitatensammlung, gebe ich die Worte Willi Baumeisters wieder: In jedem Fall muß der Künstler den Weg zu seinen Quellen finden. Dort trifft er auf sein Maß, auf das, was ihm angemessen ist.

Als Meisterschülerin von Karl-Heinz Herrfurth ist es mir eine Ehre, der Öffentlichkeit einen chronologischen Querschnitt aus dem riesigen Fundus seiner Zeichnungen zugänglich zu machen. Diese Zeichnungen entstanden vorwiegend zwischen 1988 und 2000 auf alten Papieren (Briefe, Notizbücher). Mein Studium bei Herrfurth begann etwa zeitgleich mit dem Entstehen dieser Sammlung (1988) und endete 1994 mit dem Meisterschüler, so dass ich Herrfurths Dia-Vortrag aus dem Jahr 1994 noch beiwohnen konnte (s. unten). Dieser Vortrag verschaffte mir einen tiefen Einblick und einen bleibenden Eindruck in das zeichnerische Werk des damals 59-jährigen Künstlers und Professors. Der Vortragstext gibt einen exemplarischen Einblick in das hier abgebildete Werk und ist deshalb auf den nachfolgenden, jedoch nicht aufeinanderfolgenden, Seiten nachzulesen.

Die Herausgabe dieses Katalogs ist mit der Absprache und Zustimmung und nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit den Söhnen von Herrfurth ermöglicht worden, die mich bei der Herausgabe des Katalogs vertrauensvoll und engagiert unterstützt haben."


Anna Holldorf, 25.04.2016


Der Künstler und Kunstpädagoge Wolfgang Ebert schildert  Erinnerungen an Studienjahre in der HdK bei Professor Herrfurth:


,,Ich habe von 1993 bis 2000 bei Karl-Heinz Herrfurth Malerei studiert. Bevor ich im Sommer 2006 nach Offenburg gezogen bin, um eine Stelle als Kunstlehrer an einer Kunstprofilschule in Achern anzunehmen, hatte mich Herrfurth zum Abschied noch einmal in meinem Atelier in der Mainzer Straße in Schöneberg besucht. Ich bin kein Freund von Vergleichen. Aber es sollte nicht verschwiegen und so auch nicht vergessen werden, dass es in der Grunewaldstraße am damaligen Fachbereich 6 der HdK keinen Hochschullehrer gab, der auch nur ansatzweise so an der künstlerischen Entwicklung seiner Studenten Anteil genommen hat wie Professor Herrfurth. Er war jeden Tag in der Universität. Einmal die Woche Aktzeichnen im Atelier, regelmäßige Bildbesprechung in der Klasse, und wer zwischendurch eine Rückmeldung haben wollte, ließ einfach die Ateliertür offen. Er kam herein und überraschte uns nicht selten mit einem neuen Impuls: ,,Versuch es mal damit…“ Das konnte eine Grundierung, ein besonderes Papier, ein Pinsel aus seiner Sammlung, ein ausrangierter, großer Keilrahmen - damit ich mich auch mal traue, größer zu malen -, ein LKW-Scheibenwischer als Rakel, um die Farbe in entsprechend großen Bahnen über die Leinwand zu ziehen oder ein mit Tusche gefüllter Deoroller sein, damit auch die Linie so munter und flink über das Papier tanzt wie der Tänzer, den er in die Neue Galerie eingeladen hatte. Mit unkonventionellem Werkzeug durften die Studenten ihre eigene Handschrift entwickeln, eine Form finden und erfinden. Herrfurth hat uns immer wieder zum Spiel mit den bildnerischen Mitteln eingeladen. Ein Geschenk, das mich im eigenen Atelier und meine Schüler in der Schule immer wieder aufs Neue erfreut und überrascht.


Wie vielseitig, frisch, ja bisweilen frech und nicht zuletzt umfangreich und fundiert das Werk von Karl-Heinz Herrfurth ist, haben wir als Studenten allenfalls geahnt. Er war der einzige Hochschullehrer, von dem man in der Hochschulbibliothek keinen Katalog betrachten konnte. Eine Galerie, die sein Werk in Berlin zeigt, war uns damals nicht bekannt und so konnten wir nur die eine oder andere aktuelle Serie im Augenwinkel sehen, wenn wir – nach vorherigem Anklopfen – sein Atelier betraten. Tatsächlich habe ich mich angesichts der Homepage an das eine oder andere Bild erinnert. Umso dankbarer bin ich nun für den umfangreicheren Einblick in das Schaffen meines ehemaligen Professors. Ich denke, es war Ausdruck seiner Haltung als Pädagoge, uns sein profundes Wissen zu vermitteln, ohne dabei seine eigene Kunst in den Vordergrund zu stellen. Respekt und Anerkennung wuchsen aus dem tätigen Umgang mit uns Studenten. Sie mussten nicht inszeniert werden, wie dies zum Teil in anderen Fachklassen geschah. Umso wichtiger ist es und da schließe ich mich den Worten Anna Holldorfs an, dass seinen „Meisterzeichnungen“ nun die Ehre zuteilwird, die ihnen gebührt.


Man mag einen Künstler allein nach seinem Werk beurteilen. Ich erlaube mir im Rückblick ein Urteil, dass auch an den Menschen Karl-Heinz Herrfurth hinter dem Bild erinnert. Es ist eine warme Erinnerung, die mit jedem Blick auf sein Werk auflebt, aufblitzt und uns teilhaben lässt. In dieser Teilhabe bleibt das, was in ihm war, für und in uns lebendig. Danke!"


Wolfgang Ebert, im Sommer 2020




Der Künstler Horst Beese zeichnet Erinnerungen an die Studienjahre in der Klasse Prof. Herrfurth der HDK-Berlin, 1974-1983 :

 

,,Ich bin 1949 geboren und hatte auf dem zweiten Bildungsweg ein Ingenieursstudium an der TFH(Bau)-Berlin absolviert und dann die Aufnahmeprüfung für das Wintersemester 1974/75 an der (damals noch) SHFBK bestanden. Nach dem Probesemester präsentierten wir unsere Arbeiten, die in der Grundklasse entstanden, vor der gesamten Professorenschaft, um sich für eine Klasse zu bewerben. Herr Prof. Herrfurth signalisierte mir, dass er auf Grund meiner Arbeiten Interesse habe.

1975 wurde ich dann in seine, gerade ein Jahr bestehenden, Klasse aufgenommen. Die Kommilitonen*innen der Klasse waren alle auch gerade am Anfang des Studiums. Ich erinnere mich deutlich an einige Namen, die mich lange begleiteten (Liese Petry, Sybille Reinshagen, Axel Sander, Christa Ropohl-Kirchner, Äd Wiesinger, Konrad von Hohmeier und viele mehr).  Es begann eine aufregende Zeit der Auseinandersetzungen mit der Malerei, der Kunst und der Theorie. Herr Prof. Herrfurth war immer dabei, unheimlich hilfsbereit wo es nur ging, begleitend bei der Suche unseres persönlichen Ausdrucks in der Malerei. Wir konnten über wirklich alles mit ihm sprechen, ob es um material-technische Fragen oder kunstgeschichtliche Dinge oder Literatur ging, einfach alles. Es entwickelte sich ein sehr herzliches, sehr persönliches Verhältnis zu „unserem“ Professor. Die Erinnerungen der Studienjahre von Wolfgang Ebert auf der Website, den Zeitraum 1993-2000 betreffend, habe ich genauso schon in den siebziger Jahren erlebt!

Meine Zeit an der später umbenannten HDK war sehr umtriebig, ich arbeitete damals außerhalb der Hochschule an Bühnenbildern für eine Theatergruppe. Aber ich war nicht der Einzige, der „fremdging“. Es gab einige Kommilitonen, die nicht „nur“ malten, sondern auch Musik machten, in Bands spielten, und auch das interessierte unseren Professor. Einmal lud ich Prof. Herrfurth zu einer Theatervorstellung ein und er kam, in Begleitung seiner Frau, die ich dort kennen lernte. Auch darauf ließ er sich ein, erkundigte sich: „Was macht das Theater?“ Ich hatte die „Kunstpädagogik“ nicht weiterverfolgt, wollte mich ganz auf die Malerei konzentrieren und arbeitete täglich in dem Atelier in der Grunewaldstraße gleich neben dem von Prof. Herrfurth. Ich erinnere mich an viele intensive für mich aufbauende Gespräche in seinem Atelier, auch über Griechenland, denn ich hatte schon damals einen starken emotionalen Bezug zu Griechenland. Herrfurth bestärkte mich dann auch darin, auf die Meisterschülerprüfung hinzuarbeiten, aufgrund der ich dann 1982 zum Meisterschüler ernannt wurde. Ein Jahr durfte ich noch mit aller Unterstützung in dem Atelier arbeiten.

Ich entschied mich dann, mein Glück in der „freien“ Kunst zu versuchen. Den Kontakt zu „meinem“ Professor hielt ich noch Jahre aufrecht. Ich hatte dann 1988 einen Deutsch-Griechischen Kulturaustausch, d.h. eine Ausstellung unserer Arbeiten in Agia Paraskevi in Athen, zwei Ausstellungen in einer Galerie in Athen folgten.

Ich denke sagen zu können, dass ich meine Malerei kontinuierlich weiterentwickelt habe, auch immer wieder erfolgreich Arbeiten verkaufen konnte. Ich weiß nicht mehr das genaue Jahr, es muss aber nach 1992 gewesen sein, da besuchte ich Prof. Herrfurth noch einmal in seinem Atelier in der Grunewaldstraße, um von der Geburt unseres Sohnes zu berichten, so wie er auch oft in Gesprächen seine Söhne erwähnte.

1998 lösten wir dann unsere Wohnung in Berlin auf, um in die alte Heimat meiner Frau nach Bayern an den Chiemsee zu ziehen, in der unser Sohn eingeschult wurde. Hier baute ich mir ein neues Netzwerk auf, bin im Beirat des Kunstverein Traunstein und Mitglied im BBK- Oberbayern. Und nach langjähriger Tätigkeit als Kursleiter der „Schule der Phantasie Traunstein“ habe ich nun mit 71 Jahren noch einmal eine Festanstellung als Kunsterzieher an der Staatlichen Fachakademie für Sozialpädagogik in Traunstein übernommen. Ich wurde angefragt, weil dringend ein Kunstpädagoge gesucht wurde.

Vor Jahren hatte ich schon, leider vergeblich, versucht, im Internet Informationen über Prof. Herrfurth zu finden, umso größer war dann die Freude viele der Bilder aus den frühen Jahren wiederzuerkennen.

Lange Zeit hatte ich auch immer wieder Prof. Herrfurth Einladungen zu meinen Ausstellungen geschickt. Zu einigen kam er auch in den 80er Jahren."

 

 Horst Beese, im  Frühjahr 2022



Der Kunsthistoriker Dr. Martin Schmidt schreibt anlässlich der Sommerauktion der Villa Grisebach am 2.06.2023 in Berlin im Katalog ,,Zeitgenössische Kunst" zu den Losen 821 ,,Sitzgurt" und 822 ,,Mechanik" zu Herrfurths Gemälden der 70er Jahre :


,, Mitten in die Zeit der Erweiterung gesellschaftlicher Freiräume um 1970 platziert Karl-Heinz Herrfurth, später von 1974 bis 2002 Professor an der Hochschule der Künste Berlin, seine beunruhigenden gemalten Collagen, die sich mit der fortschreitenden Mechanisierung der Welt und ihren Auswirkungen auf den Menschen beschäftigen. Der Künstler betont das Fragmentarische der Körper, die wie Relikte des Menschlichen aus der Umklammerung von Stahl, Chrom und Plastik ragen, unfähig, sich der technoiden Einverleibung zu entziehen. Diese Bilder verknüpfen, verstärkt vielleicht durch den Vietnamkrieg, Maschinelles mit Bedrängung, Zwang und Versehrtheit. Sie wirken wie Erinnerungen an organisches Leben, das sich kalter Rationalität nicht zu erwehren vermag. Zur Figuration der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre leistet Herrfurth mit diesen Gemälden einen ganz eigenen Beitrag, der die Janusköpfigkeit des Fortschritts in den Blick nimmt, ohne sich platter Agitation zu bedienen."


Dr. Martin Schmidt, Juni 2023

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